4. Genesung, Hoffnung und ein Schicksalsschlag
Jahr 2001 und 2002
Vor der ersten Chemotherapie hatte ich einen Termin bei meiner Diabetologin, der Zucker war etwas erhöht. Sie war aber der Meinung, dass die Krebsnachsorge Vorrang hat. Sie ist eine sehr umsichtige Ärztin, bei der aber aufgrund ihrer Sorgfalt erhöhte Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen, was ich gern tue.
Es war zwar nicht so wie zur Operation, aber ein komisches Gefühl hatte ich bei der ersten Chemotherapie schon, deshalb bin ich auch nicht mit dem Auto gefahren. Ich wurde auf das Zimmer geführt, in dem zwei Betten waren, musste mich hinlegen, Schwester Jutta bereitete alles vor und dann kam Frau Doktor. Die Kanüle wurde in die Vene gesetzt, es war ein kleiner und ein großer Beutel, den ich bekam. Die Schwester und auch Frau Doktor sahen immer nach dem Rechten. Das Ganze dauerte ca. eine Stunde, dann gab es noch nach Wunsch eine Tasse Kaffee und etwas Keks bzw. Obst und zwischendurch wurden noch Bonbons gereicht. Die Führsorge war nicht schlecht. Trotzdem sitzt man so wie ein ›Karnickel vor der Schlange‹ und wartet was passiert, aber es passierte nichts, die Infusionen liefen durch die Vene in den Blutkreislauf, oder so ähnlich. Ich staunte nicht schlecht, als eine Ärztin aus der zuständigen Apotheke, die den ›Cocktail‹ gemixt hatte, kam und sich nach meinem Befinden erkundigte.
Die Infusion heißt Folinsäure welche in Kombination mit 5–Fluorouracil (5–FU)verabreicht wird. Folinsäure wird in synergistischer Kombination mit dem Zytostatikum 5–Fluoruracil in der Chemotherapie zur Behandlung von Dickdarmkrebs und anderen Tumoren verwendet. Folinsäure bindet an das Enzym Thymidilat–Synthase und führt dadurch zur Erniedrigung der intrazellulären Thymidilat–Konzentration, wodurch die zytostatische Wirkung von 5–FU verstärkt wird. So steht es in der Arzneikunde.
Die Chemotherapie ging immer von Montag bis Freitag und dann waren 3 Wochen Pause. Ich habe in der ersten Woche gleich verschiedene Unternehmungen getestet. Es tat mir nichts weh und sonst ging es mir auch nicht schlecht. Ich hatte so gut wie keine Nebenwirkungen, die Probleme mit dem Darm, auf die man mich im Krankenhaus schon vorbereitet hat waren natürlich da, das heißt Durchfall und leichte Darmschwäche besonders nachts, aber ich dachte mir immer noch besser als ein künstlicher Darmausgang. Die Waschmaschine heißt ja nicht umsonst so, hoffentlich hält das alte Gerät noch lange durch.
Nun wollte ich meinen Plan verwirklichen und eine Zimmervoliere für die, noch nicht vorhandenen, Vögel bauen. Also fuhr ich wieder zu meinen Eltern nach Bautzen, wo ich die Möglichkeiten hatte so etwas zu machen. Ich hätte Bäume ausreißen können. Dann waren die drei Wochen auch schon wieder vorbei und die nächste Staffel begann. Dieses Mal war es anders gewesen, es überfiel mich eine totale Unlust und ich nahm, trotz reichlichen Essen nichts zu. Es waren ca. 63 kg die ich damals noch wog, ich schlief tagsüber sehr viel und nachts war ich munter.
Meine zukünftige EX – Frau konnte ich natürlich so leicht nicht vergessen, oft dachte ich, eigentlich könnte sie dich ja einmal anrufen, um zu fragen wie es mir geht! Obwohl ich ja mit ihr abgeschlossen hatte oder doch noch nicht? Seit dem Anruf vor der Operation habe ich nichts mehr von ihr gehört. Machte es mich wirklich traurig, ich glaube es ist nicht die richtige Empfindung. Dann kam tatsächlich ein Anruf von ihr. Es ging aber nur um den verteuerten Kredit den wir genommen haben.
Mittlerweile erfuhr ich, dass sie mit einem Mann zusammenlebt. Irgendwie ›muss‹ ich das verstehen. Wenn es dieses Mal ehrlich ist, dann sollte sie konsequent sein, trotzdem denke ich oftmals, es ist ein Traum.
CHEMOTHERAPIE UND ALLEIN, WAS GIBT ES EIGENTLICH SCHLIMMERES UND TROTZDEM GEHT ES WEITER
Ein Ende der Behandlung war noch in weiter Ferne und da konnte noch einiges auf mich zukommen. Ich hatte und habe keine Depressionen, trotzdem sinnt man über die Ungerechtigkeit im Leben nach.
Vor der zweiten Staffel war ich bei der Krebsführsorge im Bezirksamt und wieder muss ich sagen, zu der für mich zuständigen Sozialarbeiterin, habe ich sofort einen ›heißen Draht‹ herstellen können. Mir fällt es eigentlich schwer mich sofort zu öffnen und zu erzählen, aber wie so oft in meinem Leben nach dem Krebs, ging es sofort und einfacher. Die Sozialarbeiterin wird auch in der kommenden Zeit meine Ansprechpartnerin bleiben, die alles von mir erfährt, zu der ich Vertrauen habe, die mir zuhört und auch wenn sie nicht auf alle Probleme Einfluss hat oder sie lösen kann, bin ich ihr sehr dankbar.
Meiner Meinung nach ist eine solche Stelle im Bezirksamt sehr wichtig für uns, sie hilft oft mehr als das Gespräch mit den Angehörigen oder in Selbsthilfegruppen. Davon habe ich bisher nichts gehalten, deshalb ist die Einschätzung auch subjektiv.
MEIN TRAUM IST EINE HOMEPAGE FüR BETROFFENE MENSCHEN IM INTERNET
Dazu ist die finanzielle Voraussetzung nötig und ich muss mir die Fähigkeiten und Fertigkeiten erlernen. Bereits jetzt habe ich viele E – Mail Kontakte, die mich in diesem Gedanken bestätigen. Ich möchte vielen Menschen helfen. Den Anfang mache ich, indem ich meine Erfahrungen aufschreibe, egal ob ich sie später nutze.
Die zweite Staffel begann, Frau Doktor und Schwester Jutta waren wie immer besorgt um ihre Patienten. Ich habe sie wieder ganz gut überstanden, aber nicht si wie die erste, eine lähmende Unlust und Müdigkeit machte sich breit. Zum Abschluss wurde mir dann eröffnet, dass ich im Oktober zur Bestrahlung in die Charité muss. Die Ärztin hatte schon alles eingeleitet und einen Termin für mich besorgt. Beim Blutbild wurde eine Entzündung diagnostiziert und ein hochgradiger Eisenmangel, aber die Sonografie des Bauchraumes war in Ordnung.
Meine Voliere war noch nicht fertig, es gab noch kleinere Arbeiten und so fuhr ich nach Bautzen, aber auch hier hatte ich keine Lust, wirklich etwas Sinnvolles zu machen. Meinem Vater ging es auch nicht gut, sein Krebs ›nagte‹ auch immer mehr an ihm, es war schon traurig. Mein Vater, immer ein lebenslustiger, lebensbejahender Mensch wird immer schwächlicher. Er ließ es sich aber nicht nehmen die Walnussernte zu leiten und die Trocknung organisieren. Er hat diesen Baum vor vielen Jahren gepflanzt und nun trug er Nüsse, leider wird es seine letzte Nussernte sein. Das alles baute mich auch nicht auf, selbst das Hobby der Familie Ullmann, Pilze suchen, konnte mich nicht begeistern.
Ich fuhr bald wieder nach Berlin zurück, musste noch den Termin bei meinem Hausarzt wahrnehmen und bei der Diabetologin. Mein Hausarzt sah mich nach der Krebsoperation das erste Mal und war natürlich über meinen Zustand nicht gerade begeistert. Ich informierte ihn wie es weiter geht.
Ehrlich sagte er zu mir; » Henry, ich hätte nicht geglaubt, dich noch einmal wieder zusehen!« Er und nur er darf das zu mir sagen.
Der Zuckerwert war nicht so gut und die Medikation wurde erhöht, aber um es deutlich zu sagen, der Zucker war für mich in dieser Zeit nicht so maßgeblich. Näher stand, an Krebs zu sterben, als an Zucker. Ich habe mich dann so langsam auf die Bestrahlung in der Charité vorbereitet, wieder was neues Unbekanntes stand vor mir. Angst hatte ich eigentlich nicht, oder doch?
Ich kannte die Strahlenklinik aus meiner Tätigkeit als Taxifahrer, wusste was dort für Menschen hingefahren und kannte ihre ängstlichen Gesichtsausdrücke.
Am ersten Tag ging es ja um noch nichts. Das System in der Strahlenklinik ist schon gewöhnungsbedürftig, dazu aber später mehr. Die Ärztin, hat mich über die Nebenwirkungen der Bestrahlung informiert und ich musste mehrere Einwilligungserklärungen unterschreiben. Im Einzelnen ging es darum, weil der Lymphknoten so blöd lag, den habe ich mir aber nun wirklich nicht ausgesucht, dass der Harnleiter bzw. die Harnblase in Mitleidenschaft geraten könnten. Aber so schlimm wäre es nicht, durch einen OP könne man das wieder in Ordnung bringen. Doch dann kam der erste Schock, über die gesamte Zeit der Bestrahlung sollte ich eine permanente Chemotherapie bekommen, durch den Einsatz einer Pumpe. Vor lauter Aufregung und Nervosität habe ich vergessen näher Einzelheiten zu erfragen. Es ist schon eigenartig, ich war wie gelähmt obwohl noch gar nichts passiert ist. Ein Termin für die Simulation wurde vereinbart, Simulation was mag das sein. Ich musste alles erst einmal verdauen. Wieder war ich mit meinen Problemen allein zu Hause, es gab auch keinen ›Telefonjoker‹ , ein kleiner Scherz am Rande.
Der Termin für die Simulation war der 19.10.2000, das erste was passierte, es wurde ein Foto von mir gemacht, warum konnte ich bis heute nicht ergründen, dann wurde ›simuliert‹ .
Es war eigentlich nichts anderes als eine Probebestrahlung mit Anzeichnung der Bestrahlungspunkte.
Das Foto habe ich im Jahre 2005 aus
meiner Akte mitgenommen,
eigentlich wolle ich es wieder abgeben,
aber dazu bin ich nicht mehr gekommen,
weil ich vorerst nicht mehr zur Kontrolle kommen muss.
Ich glaube da ist sogar ein leiser Hauch eines Lächelns,
obwohl mir danach bestimmt nicht zu mute war.
Es ist Geschichte,
aber vergessen kann ich es nicht.
Der erste Termin für die Bestrahlung wurde festgelegt und ich musste 08.00 Uhr in der Tagesklinik erscheinen. Es wurde also ernst, los ging es am 26.Oktober 2000 und dauerte bis 06.Dezember 2000. Meine ›Strahlenkanone‹ hieß Clinac 3, was der Name auch immer bedeuten mag, mir war es egal. Zuvor musste ich die Kostenübernahme mit der Krankenkasse klären, was natürlich ohne Beanstandung genehmigt wurde. Man hat mir auch die Fahrt mit dem Taxi genehmigt, aber die Ärztin in der Charité hielt dies erst einmal nicht für notwendig. Diese Entscheidung fand ich sehr eigenartig. Also musste ich von Montag bis Freitag mit der S– und U–Bahn in die Charité fahren, ich war ja nicht alleine, meine Umhängetasche mit der Infusionspumpe begleitete mich, zum Glück konnte ich das kaschieren. Es war Herbst und die Jacke verdecktes sie ganz gut, denn ›Gaffer‹ brauchte ich in der Situation wirklich nicht.
Am 26.10.00 war es dann soweit, pünktlich wie wir Taxifahrer sind, stand ich 08.00 Uhr in der Tagesklinik. Aber es ging erst später los. Ausnahmslos alle Schwestern der Strahlenklinik waren sehr aufmerksam und man fühlte sich geborgen, obwohl es mehr oder weniger eine Massenabfertigung ist. Zur üblichen Prozedur gehörte die Blutabnahme, danach sollte der Katheter für die Chemotherapie gelegt werden. Ich kenne es schon und vermutlich wird mich das Problem bis an mein Lebensende, in unterschiedlichster Weise verfolgen, ›wenn etwas nicht klappt, dann bei mir‹ .
Meine Anfangsärztin habe ich an diesem Tag das letzte Mal gesehen, in der Charité gibt es Gruppen, ich gehörte Gruppe 3 an, dieser Gruppe waren 3 bis 4 Ärzte zugeordnet.
Der Katheter, dieser kleine Schlauch wollte einfach nicht in meine Vene, trotz intensiver Bemühung der Ärztin und Schwester Petra. Am Behandlungsraum stand paradoxerweise ›Notfallkoffer‹ dran. Es gab eine Pause, ich musste mein Mittagessen einnehmen, geschmeckt hat es mir überhaupt nicht, denn es war immer noch kein Katheder gelegt, der Termin für die erste Bestrahlung rückte auch immer näher. Ohne Chemotherapie wollte man mich auch nicht gehen lassen, ich bekam den Infusionsschlauch in die Vene auf dem Handrücken. Die Pumpe wurde mir umgehangen, ich war nicht gerade begeistert, weil es eine von der Logistik äußerst umständliche Angelegenheit war. Ich fühlte mich ziemlich hilflos, wie sollte ich mit dem langen Schlauch fertig werden?
Dann kam ich das erste Mal zum Clinac 3, der sich im Keller, neben der Strahlenklinik, befand. Ein seltsames, beklemmendes Gefühl beschlich mich, klar war die Angst auch mit dabei. Im Warteraum keine Menschen (was nie mehr vorkam), Behandlungskarte abgeben und warten. Dann wurde ich von einer leisen, undeutlichen Stimme gerufen, ich sollte in eine freie Kabine gehen. Ich rein in die Kabine und, was ich ja von der Simulation schon wusste, Unterwäsche und Socken anlassen. Dann wieder warten bis die MTA kam. Denn das waren dort keine Schwestern, ich wusste gar nicht wie ich die MTA anreden sollte. Nun schlich ich in Socken über die Auslegeware zum Clinac, es war recht unfreundlich dunkel, kalt war es nicht aber mir lief ein kalter Schauer über den Rücken und dann diese Liege, die ich ja schon kannte. Ich sollte mich auf den Bauch legen und da kam mein Problem, was später als Morbus Bechterew diagnostiziert wird, zum Vorschein. Ich konnte nicht wie verlangt meine Arme nach vorn legen, bis zur letzten Bestrahlung hatte ich dadurch ständig Probleme mit den MTAs. Die Bestrahlung dauerte immer nur kurze Zeit, wichtig war, dass man richtig lag, damit nur der Knoten bestahlt wird. Ich hielt immer die Luft an, merken tut man nichts, mein Gefühl bestand hauptsächlich aus Angst. Nachdem ich den Infusionsschlauch durch den Ärmel meiner Jacke gefädelt, die Pumpe umgehangen hatte, fuhr ich nach Hause. Die Nacht habe ich fast nicht geschlafen, der Schlauch und die Pumpe waren immer im Wege. Es war ja auch ein Provisorium.
Der Katheter war immer noch nicht gelegt, die gleiche Ärztin, eine junge, hübsche Frau, ich hätte ihr gern den Erfolg gegönnt, versuchte sich am nächsten Tag (Freitag) nach der Bestrahlung nochmals, wieder war Schwester Petra im ›Notfallkoffer‹ an meiner Seite. Es klappte wieder nicht, der kleine Schlauch wollte nicht in die Vene, angeblich war mein Blut zu dick, ich sollte viel trinken, mir war gar nicht klar was nun passieren sollte und dann kam die Rettung in Form eines Assistenzarztes, sein Name war Doktor Moser. Er schaffte es, nun musste ich noch zum Röntgen, zum Glück lag der Schlauch richtig. Ich war froh, denn 16.00 am Freitag, in den Gängen der Strahlenklinik kaum noch Begängnis. Es zog Stille ein, war ich der letzte Patient?
Das Wochenende kam in Sicht und ich konnte mich mit meiner Umhängetasche (Pumpe) anfreunden. Es war schon nicht ganz bequem und dazu kamen noch die immer größer werdenden Probleme mit der Bewegung der Arme. Ich konnte nachts sowieso nicht gut schlafen und jetzt nur noch auf dem Rücken und immer aufpassen, dass der Schlauch nicht ausreißt. Die Badewanne war für die nächsten Wochen auch passee. Ich habe in meinem Leben immer gerne und ausgiebig gebadet. Damals wusste ich noch nicht, dass es nicht mehr lange dauern wird und das Baden in der Wanne wird zum großen Problem für mich.
Was gibt es über die Bestrahlung noch zu sagen.
Jeden zweiten Tag auf die Tagesstation zum Wechseln der Pumpe, Menschen um mich und ich habe auch gesehen es gibt viele denen geht es wesentlich schlechter als mir. Doch ein gewisser Trost für mich und die Frage; habe ich es überstanden, kann man das nach dieser Zeit überhaupt schon sagen?
Immer am Mittwoch war ein Arzt am Clinac vorhanden und man konnte seine Probleme schildern. Bei mir ging bis jetzt alles einigermaßen gut. Eine Ärztin sagte mir ich hätte so große Augen, die Antwort – Rotkäppchen lässt Grüßen –, lag mir schon auf der Zunge, ich habe es dann doch gelassen. Warum fragte sie mich, weil die Vermutung nahe lag, dass ich etwas mit der Schilddrüse habe. Neuer Schock, oder was, erst einmal verdrängen und die Bestrahlung hinter mich bringen. Ja und dann war da noch ein Problem zu lösen, ich musste mein Taxi kaufen oder abgeben, denn der Leasingvertrag lief im November aus. Ich hoffte immer noch wieder einmal in meinen Job zurück zukehren, deshalb kaufte ich das Taxi. Mein Verkäufer war über mein Schicksal entsetzt, ich habe dann mit umgehängter Infusionspumpe, nicht mit der Pumpe, sondern mit Geld, das Auto gekauft. Es war natürlich eine zusätzliche Belastung, wobei man mir im Opel – Autohaus sehr entgegen kam. Da ich nicht genug Geld dafür hatte, musste ich mir deshalb von meiner Tante in Bautzen etwas leihen. Es war für sie kein Problem, meine Eltern hätten es mir sicherlich auch gegeben, aber ich wollte es so.
ICH WAR KRANK UND EINE ARME SAU
wer kann das schon von sich behaupten.
Wieder ein Freitag und die Charité suchte einen Patienten, der den Studenten vorgeführt werden kann. Es war keiner mehr da, war ich denn Freitag immer der letzte ›Kunde‹ , also fiel die Wahl auf mich, warum auch nicht ich hatte damit keine Probleme. Montag sollte ich im Hörsaal des Virchow Klinikums auftreten. Der Professor fuhr mich selbst hin, ich konnte auf alle Fragen antworten und hatte aufmerksame Zuhörer.
Jetzt wurde es aber langsam Zeit mit dem Ende der Bestrahlung, den ich bekam mehr und mehr Probleme mit dem Stuhlgang, es wurde wund am Darmausgang und am Auge entwickelte sich auch was. Trotzdem habe ich diese Phase eigentlich ganz gut überstanden, mit wenigen Nebenwirkungen. Keiner braucht sich davor zu ängstigen, aber sicherlich ist es bei anderen Menschen und Krebsen verschieden. Ich habe auch hier viel Leid gesehen und meinen ehemaligen Chef getroffen, einen feinen Menschen, dem ich von den Scheidungsabsichten gar nichts erzählt habe.
Es war Nicolaus, der 6 Dezember, diesen Tag werde ich wohl im Leben niemals vergessen, für mich ein beglückendes Gefühl, ein letztes Mal zum ungeliebte ›CLINAC 3‹ , dann wurde der Katheter entfernt und die Pumpe abgenommen, zurückblieb die Armsteife. Der nächste Termin war in drei Monaten. Ich fühlte mich frei und schwebte fast nach Hause.
Der Diabetes, er wurde im Bestrahlungszeitraum bald zum Problem, denn die Werte hatten sich ziemlich verschlechtert, die Tablettendosis wurde erhöht und ich stand kurz vor der Insulin–Spritze, zum Glück blieb die Diabetologin gelassen. Ich bekam ein Messgerät und sollte die Werte regelmäßig prüfen.
Vor Weihnachten musste ich unbedingt noch einen Plan umsetzten, in meinem Wohnzimmer gab es keine Gelegenheit mich einmal hinzulegen, ich hatte nur einen Sessel von meiner Cousine geborgt bekommen. Ich wollte mir wenigsten etwas Gemütlichkeit gönnen, verdient hatte ich mir die allemal. Bei DOMÄNE kaufte ich mir eine Polsterecke für 800 DM. Aber das alte Sprichwort ›Kaufst du billig, kaufst du zweimal‹ hat sich wieder einmal bewahrheitet. Weinachten und Silvester wollte ich in Bautzen bei meinen Eltern verbringen, deshalb wurde die Weihnachtsdekoration nicht aufgebaut.
Zuvor musste ich noch bei meiner Onkologin vorbeischauen, ein Lebenszeichen von mir geben und den Termin für die letzten zwei Staffeln Chemotherapie festmachen. Darüber hinaus musste ich die Krankenkarte abstempeln lassen, damit ich mein Krankengeld bekomme. Es waren immerhin über 2000 DM im Monat, von soviel Geld habe ich als Taxifahrer immer geträumt, aber die Quelle versiegt nach 78 Wochen. Noch war Zeit, ich dachte darüber vorsichtshalber nicht weiter nach. Im Januar ging es mit der Chemotherapie weiter.
Mir war es richtig peinlich, ich bekam Post von der Beratungsstelle für Krebskranke, meine Betreuerin hat sich Sorgen gemacht, da ich mich schon lange nicht mehr gemeldet habe, aber über die Zeit der Bestrahlung fehlte mir die Kraft dazu. Ich habe dann in nachfolgende Zeit immer sehr regen Kontakt zu ihr gehalten, was mir auch über viele Probleme hinweggeholfen hat.
Weihnachten in Bautzen, es war kalt und meinem Vater ging es schlecht, er konnte nicht einmal die traditionellen Besuche bei meinen Schwestern mitmachen. Vom Festtagsessen bei Sonja wollte er nur eine Suppe mitgebracht haben, sodass Weihnachten und auch Sylvester nicht wirklich aufbauend für mich waren. Meine Geburtstagsfeier haben wir in Auritz in der Gaststätte ›Zur Erholung‹ gefeiert, d.h. Abendbrot gegessen, ich habe so getan, als ob ich das Geld ausgegeben habe. Aber mein Vater hat mir vorher das Geld gegeben, es waren knapp 200 DM. Meine Tante habe ich am Tag noch in das Bautzener Krankenhaus gefahren, sie stand kurz vor dem Herzinfarkt, also war ein Gast weniger. Leider war es das letzte gemeinsame Weihnachten und Sylvester mit Vater, er hat den Krebs nicht überstanden, schade eigentlich.
Das Schilddrüsensonogramm bestätigte die Knoten, links 39 mm, rechts 20 mm, aber keine Zysten. Zur weiteren Abklärung wurde noch ein Szintigramm und eine Feinnadelbiopsie vorgenommen, besonders die Biopsie mit der Nadel, ist nicht gerade angenehm, aber es gibt schlimmeres. Ich hatte nun noch etwas, zwei kalte Knoten. Muss ich denn alles mitnehmen was es umsonst gibt? Die Behandlung erfolgt vorerst mit dem Schilddrüsenhormon L–Thyroxin 50 mg, eine Operation könnte aber in einiger Zeit notwendig sein, so der Professor der in der Medizinisch Diagnostischen Praxis in der Gudrunstraße. Jetzt war ich noch mit der Chemotherapie beschäftigt und war froh, dass nicht schon wieder eine Operation anstand. Während der letzten Staffel im Februar, kam Frau Kraus, die nette Sozialarbeiterin vom OZK zu mir und füllte den Antrag für die Anschlussheilbehandlung aus. Das Anschreiben trug die Überschrift EILTHEILVERFAHREN FÜR HENRY ULLMANN, ich wollte gern in das Reha – Zentrum in Lübben. Es lag zwischen Berlin und Bautzen und ich kannte es schon. Zwischen zwei Staffeln der Chemotherapie habe ich meine beiden Tanten dorthin zur Reha gefahren. Das Reha – Zentrum war neu und sehr modern. Frau Doktor hat den Antrag gleich unterschrieben. Es dauerte natürlich ein paar Wochen bis von der LVA die Zustimmung kam. Noch hatte ich keine Erfahrungen mit der LVA, aber die sollte ich noch zur Genüge bekommen und die waren nicht immer die Besten.
Nun hatte ich es fast geschafft,
8 Monate
Chemotherapie und Strahlentherapie
lagen hinter mir,
geschwächt, aber glücklich und
nun bereitete ich mich auf die Anschlussheilbehandlung vor.
Am 13 März kam von der LVA die Bestätigung über die Bewilligung einer stationären onkologischen Nachsorgeleistung als Leistung zur Rehabilitation, so stand es geschrieben. Die Heilbehandlung dauert voraussichtlich 3 Wochen und wird in folgender Rehabilitationseinrichtung durchgeführt:
Median Klinik Kalbe Abt. Onkologie. Das war entschieden weiter wie Lübben, ich freute mich trotzdem.
Am 09.04.2001 bekam ich das Schreiben von der Rehabilitationsklinik für Orthopädie und Onkologie. Der Aufnahmetermin ist der 2. Mai und die Heilmaßnahme dauert voraussichtlich bis 23. Mai. Ich hoffte natürlich, dass ich länger bleiben kann. Ich fuhr an einen schönen Tag mit dem Auto nach Kalbe und dachte daran, dass ich im Leben noch nie eine Kur hatte, erst der Krebs hat mir dazu verholfen. Einmal hätte ich schon fast eine bekommen, aber dann kam die Wende, neben andern Sachen gab es auch keine Kuren mehr. Da kann ich doch Stolz sein, solange ausgehalten zu haben.
Hier in Kalbe war es fast wie im Hotel, es gab nur Einzelzimmer, für mich war alles ungewohnt und neu. Nach Erledigung der Anmeldeformalitäten, musste ich sofort zum Mittagessen, es war nämlich gleich Küchenschluss. Die Fahrt dauerte länger als ich dachte. Nach dem Essen, räumte ich mein Auto aus, dazu konnte ich bis an den Eingang fahren, danach stellte ich es auf den etwas entfernteren Parkplatz ab.
Mein Zimmer gefiel mir gut, Toilette, Dusche, Bett, Schreibtisch und Fernseher. Ich habe aber kein Anschlusskabel gekauft, brauchte ich auch nicht, es gab auf der Etage einen Fernsehraum, den ich hin und wieder nutzte. Ich hatte mir von zu Hause den Radiowecker mitgebracht, das reichte mir. Ich hatte mir vorgenommen mein Problem mit der Schulter und der Wirbelsäule zur Sprache zu bringen. Ein anderes Problem machte mir ebenfalls zu schaffen, obwohl ich nach meinen Meinung in der Vergangenheit immer ausreichend gegessen haben, nahm ich nicht zu. Ich war bei 62 Kg stehen geblieben und wollte mir unbedingt was ›anfuttern‹ .
Der Stationsarzt und auch die Chefärztin der onkologischen Klinik machten auf mich einen gewissenhaften und kompetenten Eindruck. Am ersten Tag wurde festgelegt, was ich alles machen musste. Als ich dann meine Behandlungskarte bekam, wusste ich gleich gar nicht wie ich die vielen Maßnahmen alle koordinieren sollte. Die nächsten Tage hat sich aber alles eingeschliffen. Die Therapiemaßnahmen gingen Wochentags von 07:00 bis 15:00 Uhr, Sonnabend bis Mittag und Sonntag war frei. Visite war zwei Mal in der Woche.
Der erste Abend brachte mir gleich ein traumatisches Erlebnis, ich wollte in die Schwimmhalle gehen, ja eigentlich nichts besonderes, schwimmen konnte ich ja, aber was ich bis dahin nicht so wahrgenommen habe. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr aus dem Wasser heben. Ich war dem Ersaufen nahe, bekam panische Angst, zum Glück war das ›Ufer‹ nicht weit. Ich habe dann ca. 1 Stunde ›Standschwimmen‹ gemacht, dass heißt in der Ecke gestanden und mit den Beinen gestrampelt. Ich musste aber aus dem Wasser wieder hinaus, es hat dann ja irgendwie auch geklappt. Vom Wasser hatte ich die Nase gestrichen voll und wollte ihm nicht mehr zu nahe kommen. Bald darauf musste zum Chefarzt der Orthopädie. Ich wollte es ja so und er sagte mir gleich auf den Kopf zu ›Morbus Bechterew« , ja gehört habe ich den Namen schon einmal, und dann wusste ich, das waren die Menschen die mit krummen Rücken und gesenkten Hauptes durch die Gegend gehen. Und nun ich auch? Er nahm seine Messungen vor, kein Zweifel. Die Frage über die Möglichkeit der weiteren Berufsausübung hat er nicht beantwortet. Ich bekam schon wieder ein ungutes Gefühl.
Bei einer Visite, mit der Oberärztin, wurde es mir klar gesagt. Berufsausübung, also Taxifahrer ist nicht mehr, ich sollte mich mit dem Gedanken vertraut machen, Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Der Termin bei der Sozialarbeiterin wurde auch gleich festgelegt.
Damit habe ich mich erst einmal zurechtfinden müssen. Ja es war aus! Was nun?
Ich wurde von der Gymnastik befreit, die bekam mir eh nicht, ich war ganz einfach zu schwach und wacklig, aber es kam schlimmer als ich dachte, meine Gymnastik ins Wasser verlegt, mich beschlich schon wieder die panische Angst. Noch schlimmer es war Gruppengymnastik, ich konnte die Übungen nicht mitmachen, ich für mich nur am Rand wohl und sicher. Ich bekam daraufhin eine eigene Therapeutin, trotzdem war es immer eine Tortur. Am Schlimmsten fand ich die Arbeit mit der ›Nudel‹ dieser widerspenstigen Schaumstoffrolle.
Ansonsten waren Ergotherapie, Massage und Fango angesagt, Elektrolytbäder für Hände und Füße und Entspannungstherapie, die ich noch nie geliebt habe. Wir sollten versuchen ganz ruhig zu werden unter dem Motto ›mein rechter Arm wird schwer. usw.‹ , manche sind eingeschlafen, ich empfand nichts dabei, ich tat so als ob ich entspanne.
Manchmal bin ich spazieren gegangen oder mit dem Auto nach Gardelegen gefahren, habe Märkte und Spargelfeste besucht, es war eine schöne Zeit, aber an Gewicht nahm ich so gut wie nichts zu, obwohl ich immer der letzte im Speisesaal war und reichlich aß. Während der Heilbehandlung war ich sehr diszipliniert, habe kein Bier getrunken und nicht geraucht. Eine Ausnahme, am letzten Abend trank ich eine kleine Flasche Sekt.
Die gesamte Heilbehandlung hat mir sehr wohl getan und sicherlich den Grundstein für meine Rehabilitation gelegt. Insgesamt kann ich die Klinik, in Kalbe nur positiv hervorheben, einschließlich Personal. Ich hätte es noch länger ausgehalten, obwohl ich doch vier Wochen bleiben konnte. In einem Vortrag wurden insbesondere die onkologischen Patienten dazu angehalten, im nächsten Jahr wieder eine Nachkur zu beantragen.
Gern wäre ich noch einmal in diese Klinik gefahren, aber für erwerbsunfähige, kranke Menschen wird kein Geld mehr ausgegeben, mein Antrag wurde, trotz Widerspruch, abgelehnt. Wut die da aufkommt ist noch gelinde ausgedrückt, man wünscht ganz einfach diesen ›Entscheidern‹ solche Situationen an den Hals, sorry, es mag hart klingen, aber vielleicht hilft es ihnen das Leben mit normalen Augen zu sehen.
Ich hätte noch länger bleiben können, aber mein Vater hatte am 31.Mai Geburtstag, er wurde 75 Jahre alt, es war auch sein letzter Geburtstag, er ist im September an Krebs verstorben. Ich war froh, dass ich zu seinem Geburtstag gefahren bin, fast alle aus der Familie waren da. Die Stimmung war natürlich nicht wie sonst, wir wussten ja, wie es Vater geht. Er hielt tapfer durch, alte Bilder wurden angeschaut. Sein Zustand war sogar besser, als in den vergangenen Monaten. Schlimm für mich, war der Abschied in dieser Zeit von ihm, er selbst sah es wohl auch so, hoffentlich gibt es ein Wiedersehen, uns standen wohl immer die Tränen in den Augen. Sicherlich war die Zeit für Mutter auch nicht gerade einfach. Da ich gleich von Kalbe fuhr, waren es über 400 Kilometer. Natürlich musste ich meine Familie über die Kur berichten und die neue Situation schildern.